Raketenflugplatz-Berlin
Obere Bilder: Hermann Oberth bereitet den Flammtopf am
23. Juli 1930 für die Vorführung vor.
(Fotos: Oberth Museum Feucht)
Raketen, Triebwerke und Flugkörper:
Die Entwicklungslinie der Raketentriebwerke
Hermann Oberth erarbeitet schrittweise
das Flüssigkeitsraketentriebwerk
Als Berater für den Zukunftsfilm “Frau im Mond” des
weltbekannten Regisseurs Fritz Lang ergab sich 1929 für
Hermann Oberth die Möglichkeit, finanzielle Mittel,
handwerklich geschulte Helfer und die Nutzung der
Werkstätten von der Filmgesellschaft UfA zu erhalten, um
praktische Versuche für ein Flüssigkeitsraketentriebwerk
durchzuführen.
Als wirksamer Oxidator kam für Oberth nur Flüssig-
sauerstoff in Frage. Dieser wurde im nahen Berlin bei der
Firma Heylandt hergestellt. Dieser Sauerstoff war schwierig
zu handhaben, er verdampfte schon bei minus 183 Grad
Celsius. Alle damaligen Fachleute waren der festen
Überzeugung, eine stabile Verbrennung könne mit
Flüssigsauerstoff nicht durchgeführt werden - es würde
sofort eine Explosion erfolgen. Oberth wollte dies nicht
glauben.
Der Flammtopf
Eine einfache Versuchsanordnung sollte diese grundlegende
Frage klären. In ein Gefäß von der Größe einer
Konervendose mit einer hitzefesten Auskleidung ließ Obert
drei Röhren im Winkel nach unten anbringen. Durch
Schläuche konnte hier Benzin in den Behälter gespritzt
werden. In den Behälter wurde zuerst Flüssigsauerstoff
gegossen, sodass der Boden gut bedeckt war. Dieser Topf
stand zur Kühlung in einem größeren Behälter mit Wasser.
Aus größerer Entfernung wurde zur Zündung ein
brennender Lappen über den Topf geworfen und dann
Benzin in den Sauerstoff gespritzt. Es entstand eine
meterhohe Flamme, die gleichmäßig brannte bis der
Sauerstoff verbraucht war. Deswegen wurde diese
Anordnung “Flammtopf” genannt.
Damit war ein für alle Mal der Beweis erbracht, dass ein
Treibstoff mit Flüssigsauerstoff problemlos verbrannt werden
konnte: Dies war die Grundlage für den Betrieb von
Flüssigkeitsraketentriebwerken. Bei den Vorführungen am
19. und 23. Juli 1930 in der Chemisch-Technischen-
Reichsanstalt wurde der Flammtopf den Gutachtern als
erstes gezeigt.
Die Entwicklung von technischen Elementen und Geräten läuft
sehr ähnlich der biologischen Evolution ab. Deswegen spricht
man auch von “Technischer Evolution”. Dies heißt, es gibt immer
eine klar erkennbare Elterngeneration, die bestimmte Merkmale
an die nächste Generation weitergibt. Wie in der biologischen
Evolution bilden sich bei der Technik auch Seitenarme und auch
Sackgassen aus.
Hier wird der Entwicklungsweg der deutschen Raketen-
triebwerke der Pionierjahre 1929 bis 1934 - Schritt für Schritt -
nachgezeichnet. Damit wird für Jedermann deutlich, wie absurd
der Gedanke an einen des öfteren behaupteten Einfluss der
Arbeiten von Robert H. Goddard (der seine Arbeiten geheim
hielt) auf die deutschen Raumfahrtpioniere ist.
Die Spaltdüse
Als nächstes musste nachgewiesen weden, dass die
Verbrennung von Benzin und Flüssigsauerstoff auch in
einem engen Brennraum über längere Zeit stabil erfolgen
konnte.
In einem massiven Metallzylinder wurde ein breiter Schlitz
gefräst und von unten mit einer Metallplatte verschlossen.
Von einer Schmalseite ragten zwei Metallröhrchen schräg in
den Schlitz. Die durch diese Röhrchen gespritzten
Flüssigkeiten trafen sich in der Bodenmitte. Um den Schlitz
herum waren noch Bohrungen angeordnet, deren genaue
Funktion nicht bekannt ist. Der Autor vermutet, diese sollten
die Wärmespannungen während des Betriebes im Metall-
block verteilen.
Im Betrieb mischten sich das eingespritzte Benzin mit
dem Sauerstoff und verbrannte stabil. Trotzdem es sich
nicht um eine “Düse” im herkömmlichen Sinn handelte,
wurde durch die heftige Verbrennung ein geringer Schub
erzeugt. Auch die Spaltdüse wurde am 19. und 23. Juli 1930
den Gutachtern präsentiert.
Für seine geplante Dissertation hat
Hermann Oberth 1921/22 gut
durchdachte und berechneten
Entwürfe für Forschungs- und
Weltraumraketen erarbeitet.
Oberth legte dazu ein komplexes
Programm zur Eroberung des
Weltraums und den sich daraus
ergebenden Vorteilen vor. Dies
alles hat er dann 1923 in seinem
Buch “Die Rakete zu den
Planetenräumen” veröffentlicht.
Links ist die aus dem Buch
entnommene Zeichnung der
zweiten Stufe einer Höhen-
forschungsrakete abgebildet.
Zu dieser Zeit hatte Goddard in
den USA bisher sehr kompetente
Berechnungen der Raketentheorie
vorgelegt. Eine praktische
Anwendung in der Raumfahrt hat
er aber nicht durchdacht. Und
entgegen aller Behauptungen
stellte er sich zu dieser Zeit eine
Rakete als eine Art Maschinen-
gewehr vor, welches in schneller
Folge Pulverhülsen zur Rückstoß-
erzeugung verbrennt. An dieser
Meinung hielt er mindestens bis
Ende 1924 fest.
Zeichnung der Spaltdüse, die Oberths Assistent
Scherschewsky nach Moskau schickte.
(Oberth Museum Feucht)
Hermann Oberth
kontrolliert vor dem
Versuch noch einmal
die Spaltdüse, die auf
einem Waagebalken
zur Schubmessung
liegt.
(Oberth Museum
Feucht)
Die Kegeldüse
Oberths erstes Raketentriebwerk griff direkt auf die
Erfahrungen mit der Spaltdüse zurück. Je ein Strahl Benzin
und Flüssigsauertstoff wurden schräg gegeneinander
gespritzt und trafen sich an der Brennkammerwand, um
dort zerstäubt zu werden. Der Winkel, in dem die Treibstoffe
zueinander gespritzt wurden, entsprach dem der Spaltdüse.
Das Triebwerk stand mit der Düse nach oben zur Kühlung in
einem Wasserbehälter.
Das nach den erfolgreichen Brennversuchen am 19. und
23. Juli 1930 erstellte Gutachten wies für 96 Sekunden
einen Schub von 7 kp aus. Da eine moderne Nach-
berechnung aus dem Jahr 2019 einen möglichen Schub von
70 kp bei einem Brennkammerdruck von 20 bar ergab, wird
Oberth (oder die Reichsanstalt) 1930 sehr vorsichtig
vorgegangen sein, um kein Risiko einzugehen.
Die Montage des Triebwerks zu Kühlungszwecken in
einem Wasserbehälter oder in einem Treibstofftank war
bestimmend für die ersten Entwicklungen auf dem
Raketenflugplatz und auch beim Heereswaffenamt in
Kummersdorf.
Auf dem Raketenflugplatz
In der ersten Rakete des Raketenflugplatz
Berlin, der Mirak, befand sich die
Kegeldüse im Sauerstofftank, natürlich zur
Kühlung. Die sich im Betrieb schell
erhitzende Düse aus Kupfer dehnte sich
aus und verdampfte den Sauerstoff auch
so schnell, dass der Tank dem Druck nicht
Stand halten konnte.
Deswegen ging man bei den weiteren
Triebwerken zur Wasserkühlung über. Die
Triebwerke im Teststand und dann auch
bei den fliegenden Raketen “Repulsor”
und “Achsenstaber” befanden sich
anfangs in nach oben offenen
Wasserbehältern. Da das Wasser aber
einen toten Ballast darstellt, wurden die
Triebwerke bald mit dem Treibstoff Benzin
oder einer Alkohol-Wasser-Mischung
gekühlt.
Links: Schnitt durch die “Mirak”. Die
Kegeldüse liegt vollständig im Tank
mit Flüssigsauerstoff.
Oben: Bei einem Brenntest auf dem
Raketenflugplatz ist ein Triebwerk
durchgebrannt und hat auch den
Wasserbehälter, in dem es montiert
war, beschädigt.
Regenerativkühlung
Anstelle das Triebwerk in einen Tank mit einer stehenden
Flüssigkeit zu installieren und zu hoffen, dass die Wärme
des Triebwerks sich dort verteilen würde, wurde in Berlin
bald zur theoretisch schon bekannten Regenerativkühlung
übergegangen. Dabei spült der Treibstoff durch eine
doppelte Wand schnell um das Triebwerk und wird dann
erwärmt in die Brennkammer eingespritzt. Dieses Prinzip
hat sich bis heute bewährt.
Die Zeichnung links zeigt das Prinzip. Interessant ist hier
auch der Übergang von der Einspritzung der Treibstoffe
schräg zuneinander, hin zu einer direkten Gegeneinander-
einspritzung. Dadurch sollte die Vermischung verbessert
werden. Ein Problem, welches sich auch bei allen weiteren
Triebwerksentwicklungen stellte.
Die Gegenüberstellung des Triebwerks für 250 kp
Schub vom Raketenflugplatz (oben) mit dem
doppelten Kühlmantel mit dem Triebwerk des
Aggregat A2 aus Kummersdorf zeigt den Transfer
von Wissen zwischen den Forschergruppen im
Berliner Raum.
Das erste fliegende Triebwerk Wernher von Brauns war
das des Aggregat A2 des Heereswaffenamtes aus
Kummersdorf. Für 300 kp Schub ausgelegt, verfügte es
über einen Kühlmantel und war im Treibstofftank
eingebaut.
Die erste große Rakete des
Heeres war das Aggregat A3,
welches eigentlich als direkter
Vorläufer der militärischen Rakete
Aggregat A4 gedacht war. Beim A3
befand sich das Triebwerk wie
beim A2 mit seiner doppelten
Wandung im Treibstofftank.
Um die Verbrennung zu ver-
bessern wurden die Brenn-
kammern in Kummersdorf immer
länger, bis eine Neuanordnung der
Einspritzdüsen dies überflüssig
machte. Übrigens waren bei den
ersten Entwürfen des Aggregat A4
die Triebwerke ebenfalls im
Treibstofftank eingeplant.
… in den Weltraum
Der weitere Weg der deutschen Raketentriebwerke ist wohl
hinreichend bekannt. Vom Aggregat A3 ging es über einen
weiteren Zwischenschritt A5 zur militärisch eingesetzten
Rakete Aggregat A4, die von der Propaganda als V-2
bezeichnet wurde. Diese Entwicklung ging weit über das
hinaus, was Robert H. Goddard in den USA geschaffen hat.
Seine Errungenschaften sind außergewöhnlich für einen
einzelnen Mann und müssen unbedingt gewürdigt werden.
Aber zu diesen deutschen technischen Entwicklungen hat er
nichts beigetragen.
Mit dem A4 wurde am 3. Oktober 1942 erstmals von
einem menschengemachten Gegenstand der Weltraum in
über 80 km Höhe erreicht. Das Zeitalter der Raumfahrt war
damit eröffnet.
Es darf dabei nie vergessen werden, dass die V-2 viel
Unheil angerichtet hat - dass sie aber die Urmutter aller
Weltraumraketen ist, wird nirgends bestritten.